Warum Richter ein Bild aus seinem RAF-Zyklus aussortierte
Am Mittwoch Abend wechselten 320.000 Euro und ein abstraktes Bild mit dem bezeichnenden Titel ”Abstraktes Bild” den Besitzer. Ich müsste wohl zu dieser Versteigerung, die in Köln stattfand, nun auch schreiben, dass Gerhard Richter, Maler des grauen Bildes, einer der bedeutendsten und einflussreichsten Maler in unserer von Genies überfüllten Epoche ist. Genies gibt es schließlich überall, vor allem dann, wenn Journalisten ein banales Thema aufpumpen müssen. Wir werfen im Gegensatz einen kritischen, aber nicht überkritischen Blick auf den großen Meister. Dieser postulierte zur Aufgabe eines Künstler pathetisch:
”Man muss sich innerlich engagieren, um Kunst zu machen. Einmal davon besessen treibt man es schliesslich so weit zu denken, dass man die Menschheit durch Malerei verändern könnte, wenn man aber von dieser Leidenschaft frei ist, dann sollte man die Finger davon lassen. Denn im Grunde genommen ist die Malerei eine komplette Idiotie.”
Nun sind 320.000 Euro eine Menge Holz, um eine komplette Idiotie über den Kamin im heimischen Millioniärswohnzimmer zu hängen. Zudem ist das Marktverlangen wohl mit einer anderen Intention behaftet als dass es die Gesellschaft verändert. Dabei hatte das Bild, das Richter “abstraktes Bild” nannte, doch einst ein sehr konkretes und politisch kontroverses Thema.
Das Bild “abstraktes Bild” entstammte dem umstrittenen RAF-Zyklus. Für diesen Zyklus benutzte Richter Polizeifotos wie von dem Terroristen Andreas Baader kopierte diese im Stile des Fotorealismus und übermalte diese konsequent. Am Ende blieben verschwommene Abbilder der Realität. Ob es Richter dabei darum ging, gerade die Vergangenheit durch Umarbeitung in Kunst zu wandeln, das heißt schließlich eine neutrale, künstlerische Position gegenüber der Geschichte einzunehmen, diskutieren Kunsthistoriker. Richter enthielt sich eindeutiger Aussagen, die Bilder selbst aber lösten derartige Kontroversen aus, dass sie schließlich wie Bilder von Picasso oder Van Gogh nur unter Begleitung von Bodyguards auf Reisen gingen. In dieser Weise fand der Schutz der Vergangenheit seinen gesellschaftlichen Ausdruck. Die Frage besteht, ob Richter zur Darstellung der Vergangenheit nicht auch neutrale Bilder hätte verwenden können. Gerade eine mögliche Glorifizierung von Terroristen in der Kunst bestand als Gefahr und lockerte doch die angestrebte künstlerische Neutralität der Bilder erheblich.
Offenbar war sich Richter seiner Position niemals ganz so sicher, denn vier Bilder gliederte er schließlich aus dem Zyklus aus, da diese, so nach Spekulation einiger Kunsthistoriker, ihre Neutralität nicht wahrten. Dabei allerdings wirkt es befremdlich, dass die Bilder ihren Weg in den Markt finden, wenn sie doch eigentlich nicht tragbar sind.
Richters Positionen sind zweischneidig und womöglich inkonsistent: Entgegen seiner Äußerung, dass Künstler von inneren Wellen mitgerissen und vom Wahn der Weltveränderung erfasst sein sollen, lässt Richter hier nicht seine Finger vom Werk und will neutral die Vergangenheit verkunsten. Doch die Kunst über RAF-Terroristen soll nicht die Gesellschaft verändern, tut aber letztlich dies. Nach Reflexionsphase und nachträglicher Ausgliederung besonders fragwürdiger Bilder kapitalisiert Richter schließlich die Bilder.
320.000 Euro also für ein Bild, das vor allem seinen Wert aus der kontroversen Diskussion bezieht. Kann dieses Bild selbstständig neutrale Kunst sein? Im Kontrast zu dem politisch kontroversen RAF-Thema, verzichtet Richter in dieser Serie auf Farben. Das Bild als Grisaille verwendet nur Grautöne. Farblos ohne Emotionen und Assoziationen, indifferent und verschwommen geben die Bilder nur eingeschränkten Blick auf Fakten. Eher steht im Mittelpunkt unser konstellativer Bezug auf Vergangenheit. Mit eindeutigen Perspektiven ist die Geschichte sparsam und so kann auch die Kunst keine Eindeutigkeit produzieren. Dennoch sind uns die Fakten bewusst und wirken auf die Bildinterpretation. Sot stammt das Bild aus dem Jahre 1988 und gehört zu der Serie “18. Oktober 1977″. An diesem Tag nahmen sich Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe, Mitglieder der RAF Gruppe der ersten Generation, im Gefängnis das Leben. Auf dem ausgegliederten und versteigerten Bild selbst ist Holger Meins zu sehen, der bei einem Hungerstreik schon 1974 ums Leben kam. Das Bild hat als Grundlage den toten, aufgebahrten RAF-Terroristen. Nachdem Richter diese Fotografie auf die Leinwand übertragen hatte, übermalte er er das Ergebnis und ließ es dabei zerfließen und verschleiern. Leichte Umrisse, dunkle, graue Schemen sind alles was von der ursprünglichen Fotografie noch zu erkennen ist.
Warum dieser Arbeitsaufwand? Zunächst überträgt Richter mit allem fotorealistischen Aufwand eine Fotografie und dann bringt er sie mit den Mitteln der Malerei zurück zur beginnenden Unkenntlichkeit. Richter selbst äußerte zu dieser Technik Folgendes:
“Ich finde manche Amateurfotos besser als den besten Cezanne. Bilder müssen nach Rezepten hergestellt werden. Wie Fassaden streichen, es geht überhaupt nicht darum, die Bilder zu malen, weil Malen eine moralische Handlung ist. […]” (1966)
Fotos erschienen Richter der Wirklichkeit näher, als die durchweg erzeugte, künstlerische Abbildung. Richter sah hier die neutrale Position des Künstlers im Vordergrund,. Keine übertranszendentale, metaphysische Ablösung in geistige Höhen also, aber auch keine politisch dramaturgisch inszenierte Wirklichkeit wie sie ein real-existierender Sozialismus damals darstellen wollte. Richters Ziel ist künstlerische Neutralität im Umgang mit Wirklichkeit und damit die Kunst selbst. Wir erkennen hier das künstlerische Moment, dass die Kunst sich mit Mitteln der Kunst kritisch reflektiert. Das Ergebnis diese transzendentalen Reflexion ist offen. Aus diesen Gründen nahm Richter wohl ungestellte Amateur-Fotos, die für ihn aufgrund der Zufälligkeit ihrer künstlerischen Erzeugung näher an der Wirklichkeit waren, doch offensichtlich ist ihm diese Neutralität misslungen und dies nicht nur, weil sich die Gesellschaft echauffierte.
Auch bei dem Bild des verhungerten Terroristen erhält Richter mittels einer von der Polizei erzeugten Amateur-Fotografie Zugang zur Realität. Durch Verfremdung und abstrakte Kompositionen darüber positioniert er sich eher zu der Fragwürdigkeit unseres Blickes auf Geschichte als zu dem tatsächlichen Ereignis. Deswegen heißt das Bild am Ende auch nicht “Der Tod in Holger Meins”, sondern schlicht “Abtstraktes Bild”. Was letztlich von der Realität in Richters Malerei übrig bleibt, ist eben die Frage nach der Realität und unser Blick auf diese.
Die Kunstkritiker äußern sich natürlich anders als wir. Wie einen Vorhang lasse Richter die weiße Farbe über das Bild fließen, verstecke die Fotografie dahinter und schließe die Akte der Geschichte. Der Biograf und Archivar Dietmar Elger glaubte, dass Holger Meins Assoziationen zu dem aufgebahrten Körper des Jesus auslösten. Diese fragwürdige Nähe würde schließlich Richter so auch dazu bewegt haben, es aus dem Zyklus zu entfernen. Im Gegenzug lässt eine Äußerung des Auktionshauses Lempertz eher auf unsere Position schließen. Demnach habe Richter das Bild nicht aufgrund von Qualitätsdefiziten aus dem Zyklus genommen, sondern es habe seine Auseinandersetzung mit dem was überhaupt von Wirklichkeit darstellbar ist, nicht wiedergegeben.
Obwohl Richter in der modernen Kunst neue Wege entdeckt hat, ist das Bild also der Ausdruck für sein Scheitern auf diesen neuen Wegen. Auch wenn das Bild einst im gesamten Zyklus enthalten war und so auch die angestrebte Neutralität des Zyklus in Anspruch nahm, musste Richter das Bild schließlich aussortieren, weil es eben nicht dem Kunstideal, die Auseinandersetzung mit der Geschichte zu reflektieren, darstellte. Dies ist nicht ungewöhnlich, denn Künstler experimentieren innerhalb der Möglichkeiten der Kunst und Scheitern ist ein Teil davon. So ist auch die recht eindeutige, historische Aussage Richters, dass der Künstler Gesellschaft verändern soll, nicht konsistent im Werk enthalten. Gerade an den Grenzen unserer Erkenntnis zu experimentieren, wie es die Kunst zur Aufgabe hat, lässt eindeutige Aussagen immer wieder scheitern. Dennoch verbleibt letztlich die Frage, sind die 320.000 Euro deswegen geflossen, weil das Bild das historische Scheitern nicht nur dokumentiert, sondern tatsächlich auch unsere Gesellschaft in der Weise für die Geschichtlichkeit zu sensibilisieren vermochte oder ist es letztlich der Sammlerwert, den das Bild durch derlei Auslegungen letztlich bekommt?
Norman Schultz und Veronika Kulcsar